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Gewohnheitsrecht Arbeit: Was ist das?

Gewohnheitsrecht Arbeit: Was ist das?

Artikelzusammenfassung: Gewohnheitsrecht im Arbeitsrecht

  • Definition und Voraussetzungen: Gewohnheitsrecht ist ungeschriebenes Recht, das durch langjährige, gleichförmige Praxis entsteht und von den Beteiligten als verbindlich akzeptiert wird (consuetudo + opinio iuris).
  • Anwendung im Arbeitsrecht: Es findet Anwendung, wenn eine bestimmte betriebliche Praxis über mindestens drei Jahre hinweg gleichbleibend gehandhabt und von Arbeitgeber sowie Arbeitnehmern akzeptiert wurde.
  • Abgrenzung zu anderen Rechtsquellen: Gewohnheitsrecht unterscheidet sich von Gesetzesrecht, betrieblicher Übung (individuell arbeitsvertraglich relevant) und Richterrecht (durch Urteile entwickelt).
  • Strategien für Arbeitgeber: Unternehmen können die Entstehung von Gewohnheitsrecht durch klare Kommunikation, Vorbehalte bei freiwilligen Leistungen und arbeitsvertragliche Regelungen vermeiden – eine bestehende Praxis heben sie damit aber nicht automatisch auf.
  • Erweiterte Kontexte: Gewohnheitsrecht existiert auch im öffentlichen Recht und Völkerrecht – etwa bei diplomatischen Gepflogenheiten oder etablierten Verwaltungsvorgängen.

Gewohnheitsrecht bezeichnet ungeschriebenes Recht, das durch eine langjährige, gleichmäßige Praxis entsteht und von den Beteiligten als verbindlich anerkannt wird. Es basiert nicht auf Gesetzen oder Verträgen, sondern auf tatsächlichem Verhalten über einen längeren Zeitraum hinweg. Im Arbeitsrecht kann Gewohnheitsrecht eine wichtige Rolle spielen – etwa wenn sich bestimmte betriebliche Abläufe, Vergünstigungen oder Verhaltensweisen über Jahre hinweg etabliert haben, ohne dass sie vertraglich geregelt wurden.

Solche durch betriebliche Übung entstandenen Rechte oder Pflichten können für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber verbindlich sein, auch wenn sie nicht schriftlich fixiert wurden. Im weiteren Verlauf dieses Artikels wird erläutert, unter welchen Voraussetzungen Gewohnheitsrecht im Arbeitsverhältnis entsteht, wie es sich von anderen Regelungen – etwa dem Direktionsrecht – abgrenzt und wie es im Streitfall juristisch bewertet wird.

Anwendung des Gewohnheitsrechts im Arbeitsrecht

Im Arbeitsrecht findet das Gewohnheitsrecht Anwendung, wenn bestimmte betriebliche Praktiken über einen längeren Zeitraum hinweg regelmäßig durchgeführt und von den Arbeitnehmern sowie dem Arbeitgeber akzeptiert werden. Diese Praktiken können zu verbindlichen Arbeitsbedingungen werden – auch ohne ausdrückliche schriftliche Vereinbarung. Ein klassisches Beispiel ist die regelmäßige Gewährung bestimmter Vergünstigungen oder die Einhaltung bestimmter Pausenzeiten, die sich durch langjährige Übung etabliert haben. Beim Gewohnheitsrecht handelt sich demnach um ein ungeschriebenes Recht, das oft als betriebliche Übung bezeichnet wird.

Voraussetzungen für die Entstehung von Gewohnheitsrecht

Damit ein Verhalten als Gewohnheitsrecht anerkannt wird, müssen bestimmte juristische Kriterien erfüllt sein:

  • Gleichmäßige Anwendung (consuetudo): Die Handlung muss regelmäßig, einheitlich und über längere Zeit in vergleichbaren Fällen angewendet worden sein.
  • Dauer: In der Rechtsprechung wird in der Regel eine Mindestdauer von drei Jahren verlangt, in der die jeweilige Praxis ohne Unterbrechung bestand.
  • Rechtsüberzeugung (opinio iuris): Die Beteiligten – insbesondere die Arbeitnehmer – müssen davon ausgehen, dass die wiederholte Praxis verbindlich ist, also eine rechtliche Verpflichtung begründet.

Diese beiden Elemente – consuetudo (tatsächliches Verhalten) und opinio iuris (Rechtsüberzeugung) – bilden den Kern jedes Gewohnheitsrechts, auch außerhalb des Arbeitsrechts.

Beispiele aus dem Arbeitsrecht

In der Regel spricht man von einem Gewohnheitsrecht, wenn ein Zeitraum von drei Jahren erreicht wurde. Wenn ein Arbeitgeber beispielsweise über drei Jahre hinweg regelmäßig Weihnachtsgeld oder Urlaubsgeld zahlt, darf er diese Zahlung im vierten Jahr nicht einfach einstellen. Da Gleichbehandlung im Arbeitsrecht von großer Bedeutung ist, gilt dieser Anspruch jedoch nicht nur für einen einzelnen Arbeitnehmer, sondern für alle gleichgestellten Mitarbeiter innerhalb des Unternehmens. Auf diese Weise sollen beispielsweise auch die Nachteile einer Leihfirma reduziert werden. Allerdings greift das Gewohnheitsrecht nur, wenn diese Zahlungen jedes Jahr gleichbleibend erfolgen. Variiert der Betrag jährlich, entsteht kein Gewohnheitsrecht und Arbeitnehmer können sich nicht auf betriebliche Übung berufen. Weitere Beispiele für Gewohnheitsrecht im Arbeitsrecht können unter anderem folgende sein:

  • Festgelegte Pausenzeiten
  • Gewährung von Prämien
  • Zahlung von Essensgeld und Fahrtkostenzuschüssen
  • Übernahme von Weiterbildungskosten
  • Regelung des Urlaubs und von Freistellungen an Feiertagen
  • Regelung von Krankmeldungen
  • Vergütung von Überstunden

Ein Gewohnheitsrecht entsteht jedoch nicht automatisch bei jeder wiederkehrenden Handlung. Bei Uneinigkeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer kann eine gerichtliche Klärung erforderlich sein.

Beispiele außerhalb des Arbeitsrechts

  • Nachbarschaftsrecht: Die Duldung bestimmter Nutzungen von Wegen über Privatgrundstücke kann – bei langjähriger Praxis – zu einem Gewohnheitsrecht führen.
  • Kommunalrecht: Die regelmäßige Teilnahme der Öffentlichkeit an bestimmten Sitzungen einer Gemeinde kann sich als gewohnheitsrechtlicher Anspruch etablieren, wenn sie über Jahre hinweg unbeanstandet blieb.

Existiert ein Gewohnheitsrecht bezüglich Arbeitszeiten?

Nicht selten stellt sich die Frage, ob ein Gewohnheitsrecht auch bei Arbeitszeiten bestehen kann. Dies ist besonders relevant für Schichtarbeiter, die lange Zeit in derselben Schicht gearbeitet haben und nun vom Arbeitgeber in eine andere Schicht versetzt werden. Grundsätzlich gibt es im Arbeitsrecht kein Gewohnheitsrecht in Bezug auf die Arbeitszeiten. Selbst wenn ein Schichtarbeiter also jahrelang in derselben Schicht gearbeitet hat, besteht normalerweise kein Anspruch darauf, dass dies unverändert bleibt. Eine Ausnahme kann jedoch bestehen, wenn die Arbeitszeiten im Schichtdienst einzelvertraglich festgelegt sind.

Umfang des Gewohnheitsrechts: Arbeitszeiten, Dienstorte und Aufgabenbereiche

Das Weisungsrecht des Arbeitgebers – auch Direktionsrecht genannt – erlaubt es gemäß § 106 Gewerbeordnung (GewO), Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen zu bestimmen, soweit keine anderweitigen Regelungen bestehen. Das Direktionsrecht hat damit grundsätzlich Vorrang vor betrieblicher Übung oder Gewohnheitsrecht. Dennoch kann es in der Praxis zu Überschneidungen kommen.

1. Arbeitszeit

  • Direktionsrecht: Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit sowie deren Lage kann der Arbeitgeber im Rahmen des Arbeitsvertrags einseitig festlegen.
  • Gewohnheitsrecht: Wenn der Arbeitgeber über mehrere Jahre hinweg z. B. jeden Freitag eine verkürzte Arbeitszeit gewährt hat, ohne dies zu widerrufen, kann sich daraus ein Anspruch durch betriebliche Übung ergeben – sofern alle Voraussetzungen erfüllt sind.

2. Dienstort

  • Direktionsrecht: Der Arbeitgeber kann den Arbeitsort bestimmen, wenn dieser nicht vertraglich festgelegt ist.
  • Gewohnheitsrecht: Wird ein Arbeitnehmer über Jahre hinweg immer am selben Standort eingesetzt, obwohl arbeitsvertraglich mehrere Einsatzorte möglich wären, entsteht daraus kein Gewohnheitsrecht, solange das Weisungsrecht klar besteht.

3. Aufgabenbereich

  • Direktionsrecht: Auch die konkrete Tätigkeit kann vom Arbeitgeber angepasst werden, sofern sie vom vereinbarten Berufsbild gedeckt ist.
  • Gewohnheitsrecht: Eine dauerhafte Zuordnung zu bestimmten Aufgaben allein begründet kein Recht auf Beibehaltung, wenn keine entsprechende vertragliche Regelung vorliegt.

In allen drei Bereichen – Arbeitszeit, Dienstort und Aufgabenbereich – hat das Direktionsrecht grundsätzlich Vorrang. Ein Gewohnheitsrecht kann sich nur dann durchsetzen, wenn das Direktionsrecht eingeschränkt oder nicht ausgeübt wurde und die sonstigen Voraussetzungen (Regelmäßigkeit, Dauer, Rechtsüberzeugung) erfüllt sind.

Konfliktlösung bei Streitigkeiten um Gewohnheitsrechte am Arbeitsplatz

Streitigkeiten um Gewohnheitsrechte am Arbeitsplatz können schnell zu Unsicherheiten, Spannungen oder gar Konflikten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern führen. Dabei entstehen diese oft unerwartet, da sie häufig die Folge von langjährigen, unabsichtlichen Praktiken im Betrieb sind. Eine klare und faire Konfliktlösung ist daher entscheidend.

  • Interne Kommunikation: Der erste Schritt zur Konfliktlösung sollte immer eine offene und ehrliche Kommunikation zwischen den beteiligten Parteien sein. Missverständnisse können oft durch direkte Gespräche ausgeräumt werden.
  • Dokumentation: Es ist hilfreich, alle relevanten Praktiken und deren Historie schriftlich zu dokumentieren. Dies kann als Nachweis dienen, wenn es darum geht, ob eine bestimmte Praxis tatsächlich als Gewohnheitsrecht gilt.
  • Mediation: Bei schwerwiegenden Konflikten kann ein neutraler Mediator helfen, eine Einigung zu finden. Ein Mediator kann beide Seiten unterstützen, eine faire und praktikable Lösung zu erarbeiten.
  • Betriebsrat: Wenn vorhanden, kann der Betriebsrat als Vermittler zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern fungieren und bei der Klärung von Streitigkeiten helfen.
  • Rechtliche Beratung: In komplexeren Fällen kann es notwendig sein, rechtlichen Rat einzuholen. Ein Rechtsanwalt, der auf Arbeitsrecht spezialisiert ist, kann dabei helfen, die Situation zu bewerten und geeignete Lösungen vorzuschlagen.

Kommt es zu Streitigkeiten über angebliche betriebliche Übungen oder vermeintliches Gewohnheitsrecht, liegt es oft am Arbeitnehmer, darzulegen, dass ein entsprechender Anspruch entstanden ist. Arbeitgeber hingegen berufen sich häufig auf das Direktionsrecht oder eine fehlende Rechtsbindung.

Beweis von Gewohnheitsrecht vor Gericht

Vor Gericht muss ein Arbeitnehmer die Voraussetzungen des Gewohnheitsrechts überzeugend darlegen und beweisen. Dabei spielen insbesondere folgende Aspekte eine Rolle:

  • Beweislast: Grundsätzlich trägt derjenige die Beweislast, der sich auf das Gewohnheitsrecht beruft – in der Regel der Arbeitnehmer.
  • Beweismittel: Wiederholte Verhaltensweisen des Arbeitgebers können z. B. durch Zeugenaussagen, betriebliche Unterlagen (z. B. E-Mails, Aushänge, Dienstpläne) oder Aussagen von Kollegen dokumentiert werden.
  • Rechtsvermutung: Besteht über einen längeren Zeitraum ein gleichförmiges Verhalten des Arbeitgebers ohne Widerspruch, kann das Gericht unter Umständen eine Rechtsvermutung zugunsten des Arbeitnehmers annehmen.
  • Relevanz der Opinio iuris: Der Nachweis, dass der Arbeitgeber das Verhalten als rechtlich verbindlich angesehen hat (opinio iuris), ist entscheidend für die Anerkennung eines Gewohnheitsrechts.

Gerichte prüfen in der Regel streng, ob tatsächlich alle Voraussetzungen erfüllt sind – insbesondere bei Abweichungen vom Direktionsrecht oder bei nicht klar dokumentierten betrieblichen Abläufen.

Strategien für Unternehmen im Umgang mit Gewohnheitsrecht

Arbeitgeber können durch klare Maßnahmen verhindern, dass ungewollt Gewohnheitsrechte entstehen. Entscheidend ist dabei eine vorausschauende und konsequente Gestaltung betrieblicher Abläufe und Kommunikation.

Mögliche Strategien:

  • Klarstellung im Arbeitsvertrag: Leistungen, die nur freiwillig und ohne Rechtsbindungswillen gewährt werden, sollten als solche im Vertrag oder in Begleitschreiben deutlich gekennzeichnet sein („freiwillig, jederzeit widerruflich“). Hier kann auch die Kündigungsfrist bei einer Leihfirma relevant sein, wobei die Zustimmung des Mitarbeiters zur Vereinbarung erforderlich, damit sie wirksam wird.
  • Vermeidung regelmäßiger Wiederholung: Wird eine freiwillige Leistung über mehrere Jahre hinweg gewährt (z. B. Weihnachtsgeld), ohne dass dies kommentiert oder eingeschränkt wird, kann ein Gewohnheitsrecht entstehen. Wiederholungen sollten deshalb bewusst gesteuert oder ausdrücklich befristet werden.
  • Dokumentation von Absichten: Schriftliche Hinweise auf die Freiwilligkeit oder Einmaligkeit von Leistungen (z. B. in E-Mails, Aushängen oder Schreiben) können spätere Rechtsansprüche verhindern helfen.
  • Reaktion auf fehlerhafte Erwartungen: Wenn Arbeitnehmer davon ausgehen, eine wiederholte Leistung sei ein Anspruch, sollte dies zeitnah und schriftlich korrigiert werden.

Diese Maßnahmen wirken präventiv: Sie dienen dazu, die Entstehung von Gewohnheitsrecht zu verhindern, ersetzen jedoch kein gerichtliches Verfahren zur Aufhebung eines bereits bestehenden Gewohnheitsrechts. Wenn ein solches bereits entstanden ist, kann es nicht einseitig durch bloße Klarstellungen beseitigt werden.

Wie wird Gewohnheitsrecht aufgehoben?

Ein einmal entstandenes Gewohnheitsrecht kann nicht einfach durch einseitige Erklärung oder betriebliche Umstrukturierung beseitigt werden. Dafür sind klar definierte rechtliche Schritte notwendig:

  1. Aufhebung durch Änderungskündigung:
  • Besteht ein Gewohnheitsrecht (z. B. auf Sonderzahlungen), kann dessen Beseitigung im Zweifel nur über eine Änderungskündigung erfolgen.
  • Dabei wird das bestehende Arbeitsverhältnis gekündigt und ein neuer Vertrag zu geänderten Bedingungen angeboten.
  1. Tarifvertragliche oder gesetzliche Regelung:
  • Wenn eine neue gesetzliche Vorschrift oder ein wirksamer Tarifvertrag eine anderslautende Regelung trifft, kann dadurch das Gewohnheitsrecht verdrängt werden.
  1. Einvernehmliche Änderung:
  • Arbeitgeber und Arbeitnehmer können durch Änderungsvertrag ein bestehendes Gewohnheitsrecht einvernehmlich aufheben – dies setzt jedoch eine klare schriftliche Vereinbarung voraus.
  1. Aufgabe durch dauerhafte Nichtanwendung:
  • Eine bloße Unterbrechung der bisherigen Praxis reicht in der Regel nicht aus. Nur wenn über mehrere Jahre hinweg die Praxis bewusst nicht mehr fortgeführt und zugleich kommuniziert wurde, kann das Gewohnheitsrecht möglicherweise entfallen. Dies ist jedoch rechtlich unsicher und im Streitfall vom Gericht zu bewerten.

Hinweis: Unternehmen sollten rechtzeitig juristischen Rat einholen, wenn die Vermutung besteht, dass ein Gewohnheitsrecht besteht und dieses beseitigt werden soll.

Unterschied zwischen Gewohnheitsrecht und Gesetzesrecht

Das deutsche Rechtssystem unterscheidet grundsätzlich zwischen geschriebenem Recht (Gesetzesrecht) und ungeschriebenem Recht (Gewohnheitsrecht). Beide können Rechtsverbindlichkeit entfalten, folgen jedoch unterschiedlichen Entstehungsmechanismen:

Gesetzesrecht:

  • Entsteht durch formelle Gesetzgebungsverfahren (z. B. Bundestag, Bundesrat).
  • Ist in Gesetzestexten festgehalten (z. B. BGB, ArbZG).
  • Gilt unmittelbar für alle Bürger und Unternehmen.
  • Seine Auslegung erfolgt durch Gerichte auf Basis gesetzlicher Normen.

Gewohnheitsrecht:

  • Entsteht durch eine über längere Zeit gleichmäßig geübte Praxis.
  • Wird nur wirksam, wenn diese Praxis von den Beteiligten als rechtlich verbindlich angesehen wird (opinio iuris).
  • Ist nicht schriftlich fixiert, muss also im Streitfall durch Beweise und Zeugenaussagen nachgewiesen werden.
  • Gilt nur, wenn keine entgegenstehende gesetzliche Regelung besteht.

Im Arbeitsrecht kann Gewohnheitsrecht dort Bedeutung erlangen, wo gesetzliche oder vertragliche Regelungen fehlen oder unklar sind.

Unterschiede zwischen betrieblicher Übung und Gewohnheitsrecht

Obwohl betriebliche Übung und Gewohnheitsrecht oft ähnlich wirken, gibt es wesentliche Unterschiede zwischen beiden Konzepten. Eine betriebliche Übung bezeichnet die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen durch den Arbeitgeber, die zu einer vertraglichen Bindung führen können. Beispielsweise kann die regelmäßige Gewährung von Weihnachtsgeld über mehrere Jahre hinweg zu einem Anspruch der Arbeitnehmer auf diese Leistung führen, selbst wenn sie nicht explizit im Arbeitsvertrag festgehalten ist. Gewohnheitsrecht hingegen bezieht sich oft auf allgemein anerkannte und langjährig praktizierte betriebliche Normen, die von Arbeitnehmern und Arbeitgebern stillschweigend als verbindlich angesehen werden. Es handelt sich dabei um Praktiken, die sich durch eine kontinuierliche und gleichmäßige Anwendung etabliert haben und eine rechtliche Verbindlichkeit erlangen, auch wenn sie nicht ausdrücklich vereinbart wurden.

Der Hauptunterschied liegt also darin, dass die betriebliche Übung direkt durch das Verhalten des Arbeitgebers entsteht und zu individuellen vertraglichen Ansprüchen der Arbeitnehmer führt, während das Gewohnheitsrecht aus der allgemeinen Akzeptanz und langjährigen Praxis entsteht und eine breitere rechtliche Norm darstellt. Beide Konzepte haben jedoch gemeinsam, dass sie durch die wiederholte Anwendung und die stillschweigende Zustimmung der Beteiligten rechtliche Bedeutung erlangen können.

Rechtlicher Kontext:

  • Die betriebliche Übung wird vor allem durch die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) konkretisiert. Ein klassisches Beispiel: Wird über mindestens drei Jahre hinweg eine freiwillige Sonderzahlung (z. B. Weihnachtsgeld) geleistet, entsteht ein Rechtsanspruch auf zukünftige Leistungen – sofern kein Freiwilligkeits- oder Widerrufsvorbehalt erklärt wurde (vgl. BAG, Urteil vom 21. Januar 2009 – 10 AZR 219/08).
  • Gewohnheitsrecht wird nicht durch individuelles Arbeitgeberverhalten, sondern durch überbetriebliche Praxis begründet, sofern diese als rechtlich verbindlich angesehen wird (vgl. BGB § 242 in Verbindung mit langjähriger Praxis).

Abgrenzung zum Richterrecht

Neben gesetzlichem und gewohnheitsrechtlichem Recht ist das Richterrecht (auch: Fallrecht) eine weitere Rechtsquelle, insbesondere im Arbeitsrecht.

Richterrecht entsteht, wenn:

  • eine gesetzliche Regelung fehlt oder auslegungsbedürftig ist und
  • Gerichte diese Lücke durch rechtsfortbildende Entscheidungen schließen.

Abgrenzung:

  • Richterrecht entsteht durch gerichtliche Entscheidung (z. B. BAG), ist aber kein Gewohnheitsrecht, da es nicht auf gelebter Praxis basiert.
  • Gewohnheitsrecht beruht auf tatsächlicher, langjähriger Übung, nicht auf gerichtlicher Rechtsfortbildung.

Beispiel: Das BAG hat durch Richterrecht konkretisiert, unter welchen Bedingungen ein Anspruch aus betrieblicher Übung entsteht – dies wäre kein Fall von Gewohnheitsrecht, sondern ein Fall von Rechtsprechungsfortbildung.

Beispiele für betriebliche Übung im Arbeitsumfeld

Im Folgenden sind typische Konstellationen aufgeführt, in denen durch wiederholtes Verhalten des Arbeitgebers eine betriebliche Übung entstehen kann. Wichtig: Diese Beispiele betreffen ausschließlich die betriebliche Übung und sind nicht automatisch als Gewohnheitsrecht zu qualifizieren. Die rechtlichen Voraussetzungen und Wirkungen unterscheiden sich deutlich.

  1. Weihnachts- und Urlaubsgeld: Wenn ein Arbeitgeber über mindestens drei Jahre hinweg freiwillig und bedingungslos Weihnachts- oder Urlaubsgeld zahlt, kann dies als betriebliche Übung gelten, selbst wenn es nicht im Arbeitsvertrag festgelegt ist. Es besteht jedoch kein Gewohnheitsrecht, wenn die Zahlungen in unterschiedlicher Höhe erfolgen.
  2. Arbeitszeiten (Schichtarbeit): Ein Gewohnheitsrecht entsteht nicht automatisch, wenn ein Mitarbeiter über längere Zeit immer in derselben Schicht eingesetzt war. In diesem Fall müsste ein eindeutiger Wille des Arbeitgebers, den Mitarbeiter ausschließlich nachts einzuteilen, erkennbar sein.
  3. Regelung der Pausenzeiten: Abweichungen von arbeits- oder tarifvertraglichen Regelungen bezüglich Pausen können zu einem Gewohnheitsrecht führen, abhängig von Branche, Betriebsgröße und -art.
  4. Umgang mit Krankmeldungen: Ein Arbeitgeber kann den Umgang mit Krankmeldungen nach seinen Bedürfnissen gestalten. Wenn eine verkürzte Frist für die Krankmeldung über einen längeren Zeitraum praktiziert wird, kann sich hieraus ein Gewohnheitsrecht ergeben.
  5. Dienstort und Tätigkeit: Auch in Bezug auf den Dienstort und die Art der Tätigkeit unterliegen Mitarbeiter dem Weisungsrecht des Arbeitgebers. Sie haben demnach keinen Anspruch darauf, dass der Dienstort oder die Tätigkeit dauerhaft gleich bleiben. à streichen, weil das kein Beispiel für betriebliche Übung ist oder wie folgt ändern:

Dienstort und Tätigkeit: In Bezug auf den Dienstort und die Art der Tätigkeit unterliegen Mitarbeiter dem Weisungsrecht des Arbeitgebers. Sie haben demnach keinen Anspruch darauf, dass der Dienstort oder die Tätigkeit dauerhaft gleich bleiben und können sich somit auch nicht auf die betriebliche Übung berufen. Diese Beispiele verdeutlichen, dass ursprünglich freiwillige Leistungen durch eine betriebliche Übung verpflichtend werden können. Dabei ist stets der Grundsatz der Gleichbehandlung zu beachten.

Wie Arbeitgeber das Gewohnheitsrecht beeinflussen können

Wie bereits erwähnt, können Arbeitgeber das Gewohnheitsrecht einschränken oder zurücknehmen, indem sie folgende Maßnahmen ergreifen:

  • Ausschluss des Freiwilligkeitsvorbehalts im Arbeitsvertrag
  • Einvernehmliche Aufhebung
  • Änderungskündigung

Darüber hinaus ist es wichtig, Änderungen und betriebliche Praktiken klar zu kommunizieren. So sollten die Erwartungen und Bedingungen bei Einführung oder Änderung von Praktiken deutlich gemacht werden. Um Missverständnisse zu vermeiden, sollten wichtige betriebliche Regelungen zudem schriftlich festgehalten werden. Dies kann helfen, die Entstehung von ungewollten Gewohnheitsrechten zu vermeiden.

Ineffektive Maßnahmen gegen die betriebliche Übung

Allerdings gibt es auch Maßnahmen, die nicht geeignet sind, um die Entstehung einer betrieblichen Übung zu verhindern. Hierzu gehören:

  1. Anfechtung einer Willenserklärung wegen Irrtums: Ein Gewohnheitsrecht setzt keine explizite Willenserklärung voraus. Es basiert vielmehr auf dem Verhalten des Arbeitgebers. Selbst wenn die Leistung irrtümlich erfolgt, kann sich das Gewohnheitsrecht dennoch daraus entwickeln, wenn die Mitarbeiter aufgrund dieser Handlung Verlässlichkeit erwarten.
  2. Aufhebung durch Betriebsvereinbarung: Eine Betriebsvereinbarung kann das bereits entstandene Gewohnheitsrecht nicht rückgängig machen, da die freiwillige Leistung individuell auf den Arbeitsvertrag zurückzuführen ist.
  3. Setzen auf Zeit: Das temporäre Aussetzen einer betrieblichen Übung in der Hoffnung, dass sich niemand beschwert, um anschließend eine gegenteilige betriebliche Übung zu etablieren, ist ebenfalls keine effektive Strategie. Gerichte können dies als Versuch der Umgehung ansehen.
  4. Doppelte Schriftformklausel: Eine Klausel im Arbeitsvertrag, die besagt, dass Vertragsänderungen nur schriftlich im Vertrag festgehalten werden dürfen, ist in dieser Form nicht wirksam. Gerichte betrachten solche Klauseln als unwirksam, da sie die Möglichkeiten der Arbeitnehmer einschränken (BAG Urteil vom 20. Mai 2008, Az. 9 AZR 382/07).

Rechte neuer Mitarbeiter aufgrund betrieblicher Übungen

Auch neue Mitarbeiter können Rechte aufgrund bestehender betrieblicher Übungen haben. So haben neu eingestellte Mitarbeiter grundsätzlich Anspruch auf Leistungen, die zum Zeitpunkt ihres Vertragsschlusses bereits als betriebliche Übungen bestanden.

Dies ergibt sich aus den Gesetzen der §§ 133 und 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Auch der Aspekt der Gleichbehandlung muss hierbei berücksichtigt werden.

Beispielsatz: Nach § 157 BGB sind bei der Auslegung eines Arbeitsvertrags auch bestehende betriebliche Gepflogenheiten wie z. B. regelmäßige Bonuszahlungen oder zusätzliche Urlaubstage zu berücksichtigen.

Neue Mitarbeiter haben demnach Anspruch auf die gleichen Vergünstigungen und Praktiken, die sich als betriebliche Übung etabliert haben. Dies betrifft beispielsweise regelmäßige Bonuszahlungen oder Regelungen bezüglich der Krankmeldung.

Um Missverständnisse zu vermeiden und den Grundsatz der Gleichbehandlung zu befolgen, sollten neue Mitarbeiter über bestehende betriebliche Übungen informiert und in deren Anwendung eingewiesen werden. Auf diese Weise kann eine einheitliche Handhabung sichergestellt werden.

Gewohnheitsrecht im Völkerrecht

Im Völkerrecht spielt das Gewohnheitsrecht eine zentrale Rolle, da viele Normen nicht in verbindlichen Verträgen festgelegt sind. Es handelt sich um ungeschriebenes Recht, das durch eine allgemeine Staatenpraxis (consuetudo) und die Überzeugung rechtlicher Verbindlichkeit (opinio juris) entsteht.

Voraussetzungen für völkerrechtliches Gewohnheitsrecht

  • Allgemeine Staatenpraxis (consuetudo): Die Norm muss über einen längeren Zeitraum hinweg von einer Vielzahl von Staaten in vergleichbarer Weise angewendet werden.
  • Rechtsüberzeugung (opinio juris): Die Staaten müssen die Praxis in dem Glauben befolgen, dass sie rechtlich dazu verpflichtet sind.

Beispiele für völkerrechtliches Gewohnheitsrecht sind das Verbot von Angriffskriegen, die Pflicht zur Seenotrettung oder das diplomatische Immunitätsprinzip. Solche Normen gelten auch dann, wenn einzelne Staaten sie nicht ausdrücklich durch Vertrag anerkannt haben.

Das Gewohnheitsrecht stellt damit eine wichtige Quelle des Völkerrechts dar, insbesondere in Bereichen, in denen keine umfassenden völkerrechtlichen Abkommen bestehen oder in denen Verträge lückenhaft sind.

FAQ

Wann kann man sich auf Gewohnheitsrecht berufen?

Arbeitnehmer können sich auf das Gewohnheitsrecht berufen, wenn eine bestimmte Praxis über mindestens drei Jahre hinweg regelmäßig und gleichbleibend angewendet wurde und von allen Beteiligten stillschweigend akzeptiert wurde.

Was ist das Gewohnheitsrecht Beispiel?

Ein klassisches Beispiel für die Anwendung des Gewohnheitsrechts ist, wenn ein Arbeitgeber über mehrere Jahre hinweg freiwillig und bedingungslos Weihnachts- oder Urlaubsgeld gezahlt hat und dies von den Mitarbeitern als selbstverständlich angesehen wird.

Kann mir mein Chef andere Arbeitszeiten vorschreiben?

Ja, aufgrund ihrer Weisungsbefugnis und dem Direktionsrecht haben Arbeitgeber das Recht, andere Arbeitszeiten im Schichtdienst festzulegen, ohne dass hierbei das Gewohnheitsrecht oder betriebliche Übungen berücksichtigt werden müssen.

Kann man Gewohnheitsrecht vertraglich ausschließen?

Ja, durch einen sogenannten Freiwilligkeitsvorbehalt, der im Arbeitsvertrag festgelegt werden kann, wird das Gewohnheitsrecht vertraglich ausgeschlossen. Dies bedeutet, dass regelmäßig und freiwillig erbrachte Leistungen keinen Rechtsanspruch begründen.

Gibt es Gewohnheitsrecht auch im öffentlichen Recht?

Ja, auch im öffentlichen Recht kann sich Gewohnheitsrecht entwickeln – etwa in der Verwaltungspraxis oder bei der Anwendung nicht kodifizierter Grundsätze. Voraussetzung ist ebenfalls eine dauerhafte, gleichförmige Praxis mit rechtlicher Verbindlichkeit.

Wo gilt Gewohnheitsrecht überhaupt?

Gewohnheitsrecht kann in nahezu allen Rechtsgebieten entstehen – im Zivilrecht (z. B. Verkehrsbräuche), im Arbeitsrecht (z. B. Weihnachtsgeld), im öffentlichen Recht (z. B. Verwaltungspraxis) und im Völkerrecht (z. B. diplomatische Immunität).

Fazit

Das Gewohnheitsrecht im Arbeitsrecht spielt eine bedeutende Rolle für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen. Es entsteht aus langjährigen Praktiken im Arbeitsalltag und kann zu Rechtsansprüchen führen, die über die schriftlichen Vereinbarungen hinausgehen. Für Unternehmen ist es wichtig, sich bewusst zu sein, wie ein Gewohnheitsrecht entsteht und wie es beeinflusst werden kann. Strategien wie klare vertragliche Regelungen und eine transparente Kommunikation können dazu beitragen, ungewollte Verpflichtungen zu vermeiden. Für Arbeitnehmer wiederum ist es wichtig, ihre Rechte zu kennen und zu verstehen, wie sie sich auf ihr Gewohnheitsrecht berufen können, um faire Arbeitsbedingungen zu gewährleisten.

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