Arbeitszeiterfassung im Wandel – von der „Stechuhr“ bis zur Smartphone-App
Vertrauen oder Kontrolle?
In Spanien hat eine Gewerkschaft geklagt und erreicht, dass die tägliche geleistete Arbeitszeit der Beschäftigten aufgezeichnet werden muss – und nicht nur die Überstunden. Der EuGH fordert, dass dies mit einem System erfolgen müsse, welches die Arbeitszeit „objektiv, verlässlich und zugänglich“ misst. Bedeutet der Gerichtsentscheid eine Renaissance für die alte „Stechuhr“, wie die Stempeluhr auch bezeichnet wird? Nicht nur für Spanien, sondern für alle europäischen Länder, einschließlich Deutschland, dürfte das Urteil weitreichende Konsequenzen haben.
Bisher werden die Arbeitszeiten nicht in allen Berufsbranchen vollständig erfasst. Insbesondere für Außendienstler und Beschäftigte, die im Home Office ihre Brötchen verdienen, ist die systematische Aufzeichnung der von ihnen geleisteten Arbeitsstunden oft ein Fremdwort. Überstunden sind regelmäßig inbegriffen. Aber auch für Angestellte und Arbeiter, die „nach Vertrauen“ ihre Arbeitsaufgaben erfüllen, ohne diese minutiös dokumentieren zu müssen, könnte sich einiges ändern.
Kontrolle ist besser – ein Rückblick
Bevor im 19. Jahrhundert die Zeitkontrolle in die Fabriken Einzug hielt, wurde sie bereits im öffentlichen Dienst angewendet: bei den Beamten. Offenbar entsprachen deren Pflichtbewusstsein und Zuverlässigkeit zum Ende des 18. Jahrhunderts noch nicht den heutigen Vorstellungen von Disziplin und Arbeitsethos. So wurde etwa in Bayern für die dortigen Amtspersonen eine Kontrolluhr eingeführt. In die Uhr musste eine Kennmarke eingeworfen werden. So konnte festgestellt werden, ob der Dienstantritt der Beamten pünktlich geschah. Das Prinzip der Kontrolluhr wurde bald auch für die Kontrolle von Kontrolleuren verwendet: für die Ordnungshüter auf ihren Rundgängen. Schließlich kamen die ersten tragbaren „Wächter-Kontrolluhren“ zum Einsatz. Mit den an den einzelnen Kontrollstellen ihres Rundgangs befindlichen Schlüsseln lochten die Wächter den in der Uhr liegenden Papierstreifen. Auf diesem Wege konnten Nachtwächter und Ortspolizisten überwacht werden, ob sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort anlangten.Mit der beginnenden Industrialisierung gerieten die Arbeiter in den Fabriken in das Blickfeld der Kontrolleure. 1879 wurde vom Kaiserlichen Patentamt der erste „Arbeiter-Kontrollapparat“ aus dem baden-württembergischen Schwenningen patentiert. Es handelte sich um eine Anordnung von Marken, die über ein Federungssystem Schreibhebel auf eine mit Papier bezogene Trommel drückten. Eine wirkliche Überwachung gelang mit diesem System jedoch noch nicht, denn das Gerät war sehr störanfällig. 1897 folgte eine Vorrichtung, bei der die Uhrzeit auf eine Karte gestempelt und in einen Apparat eingeführt werden musste.
In den USA druckte ab dem Ende des 19. Jahrhunderts ein „Zeit-Registrierapparat“ die Nummer und die Zeit der Fabrikarbeiter auf einen Papierstreifen. Die Beschäftigten mussten den ihnen zugeteilten Schlüssel in den Apparat stecken, sodass genau ersichtlich wurde, wann sie zur Arbeit kamen und die Arbeit wieder verließen. Später setzte sich ein „Kartenapparat“ durch, der mit Stempelkarten und automatischem Kartenvorschub ausgestattet war.
Während sich die Angestellten aufgrund ihrer gehobenen Stellung oft noch handschriftlich zur Arbeit einschreiben durften, mussten die Arbeiter überwiegend mit ihrer Stempeluhr vorliebnehmen. Im Sprachgebrauch der Beschäftigten wurden die Zeitmesser „Stechuhr“ genannt, obwohl die meisten Kontrolluhren eher stempelten als dass sie noch „stachen“.
Technische Neuerungen
Die „Stechuhr“ im eigentlichen Sinne ist längst aus der Mode gekommen. Und die Stempeluhr hat sich ebenfalls gewandelt. Aus den mechanischen Apparaten von anno dazumal sind moderne elektronische Zeiterfassungssysteme geworden, die per Dateneingabe am Terminal oder durch Chipkarten bedient werden. Inzwischen ist es sogar denkbar, per passendem Fingerabdruck zur Arbeit zu gelangen. So kann die Zeitmessung auch mit einer Zugangskontrolle am Werkstor verbunden sein. Arbeitsbeginn und Arbeitsende können auf diese Weise in einer elektronischen Datenbank gespeichert und beispielsweise für die Lohn- und Gehaltsabrechnung genutzt werden.Die Möglichkeiten der Arbeitszeitmessung sind vielfältiger und technisch ausgefeilter geworden. Die Arbeitszeiten können heute ebenso mit einer entsprechenden Software erfasst und ausgewertet werden. Hierfür müssen sich die Beschäftigten zu Beginn ihrer Arbeit in das jeweilige Programm einloggen und zum Ende des Tages wieder ausloggen. Die Zeiterfassung sollte auch über Tablets und Handys ermöglicht werden. Der Hauptgrund für die Arbeitszeiterfassung mit einem Softwaresystem dürfte die Kostenersparnis sein. Software einzukaufen, wird allenfalls günstiger vonstattengehen als eine komplett neue Eingabestation errichten zu müssen.
Die mobile Arbeitszeiterfassung ist besonders für Beschäftigte im Außendienst geboten. Bei ihnen türmt sich oft ein Berg von Überstunden auf. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat eine App entwickelt, die es erlaubt, die Arbeitszeiten der Beschäftigten mit dem Smartphone zu erfassen und per E-Mail an den Arbeitgeber zu übermitteln. Die BMAS-App „einfach erfasst“ kann entweder im Google Play Store (für Android) oder im Apple App Store (für iOS-Geräte) heruntergeladen und auf dem Smartphone installiert werden. Für Windows Phone ist kein Bezug der App mehr möglich, jedoch stehen im Microsoft Store viele andere Apps zur Zeiterfassung bereit.
Stundenzettel oder App?
Was wird nun aus der „Stechuhr“? Eine Wiederkehr in den Arbeitsalltag scheint undenkbar; diese Uhr wird wohl höchstens noch in einem Museum bewundert werden können. Im Uhrenindustriemuseum Villingen-Schwenningen und im Technoseum Mannheim sind umfangreiche Sammlungen von historischen Zeitmessern zu besichtigen.
Bleibt die Frage: Stundenzettel oder App? Für viele Unternehmen wird die elektronische Arbeitszeiterfassung von Vorteil sein. Doch Vorsicht bei der Umsetzung: Keineswegs sollten sich die Beschäftigten ausgespäht oder permanent überwacht vorkommen. Um die Akzeptanz des Systems zu sichern, sollte transparent sein, welche Daten zu welchem Zweck erfasst und genutzt werden. Im Zweifelsfall müssten ordnungsgemäße handschriftliche Aufzeichnungen eine Zeit lang dem digitalen Stundenzettel vorgezogen werden.
Für die Arbeitgeber darf die Erfassung der Arbeitszeit nicht zu einem bürokratischen und technischen „Monster“ werden. Die bloße Anwesenheit der Beschäftigten sagt bekanntlich nichts über deren Leistung aus. In jedem Fall dürfte sich ein gutes Verhältnis zwischen der Chefetage und den Arbeitern und Angestellten günstig auf die zu erbringende Leistung auswirken. Denn Vertrauen zahlt sich am Ende eben doch aus …